Warum ein Vortrag mit dem Thema „BDS – Antisemitismus in neuem Gewand?“
Ein starker Auslöser für die aktuelle Antisemitismus-Debatte und die damit zusammenhängende Debatte über die Rolle der BDS-Bewegung war die documenta fifteen2022.
Durch den Vortrag von Prof. Doron Kiesel wurde den Mitgliedern die Gelegenheit geboten, sich über die Schlagzeilen hinaus intensiver und gründlicher über das Thema zu informieren und mit ihm zu befassen.
„Eigentlich haben wir aktuell größere Themen auf dieser Welt“ begann Kiesel. Das Thema sei überraschenderweise in Israel selbst von geringer Relevanz als außerhalb. Relevant sei das Thema aber sehr wohl, weil hier ein besonderer Blick auf Israel geworfen werde. Kritik an Israel und an dem Umgang mit seinen palästinensischen Nachbarn sei dabei immer legitim und der Diskurs in Israel würde dazu selbst sehr offen und kontrovers geführt. Wichtig sei aber die Form der Kritik. Es gäbe demokratische Spielregeln des Diskurses von der wohl die wichtigste die Anerkennung des Existenzrechtes des jeweils anderen sei. Wenn das nicht gegeben wäre, würden diese Spielregeln verlassen.
Der Ursprung der „Sammelbewegung“ BDS läge in der Kritik an der Besatzungspolitik Israels aus diversen arabischen Organisationen. Auch diese Kritik gäbe es vielfältig und weltweit. Kiesel erinnerte an die jüngste Rede des israelischen Ministerpräsidenten vor der UN-Vollversammlung, in der er für eine Zweistaatenlösung in Palästina plädierte. Dieses würde in konservativen israelischen Kreisen weitgehend abgelehnt. Zu diesem Thema gäbe es in der israelischen Gesellschaft eine sehr lebendige Auseinandersetzung. Letztlich gäbe es aber auch in Israel noch keinen Plan, wie die bestehende Problematik gelöst werden könnte: einem großen multi–kulturellen und -religiösen israelischen Staat oder aber zwei Staaten mit einer jüdischen Mehrheit in Israel.
Zum einen sähe man in der Neugründung Israels auf dem ehemals britischen Mandatsgebiet eine „koloniale Bewegung“. Zum anderen zeichne sich der neu aufgebaute Staat unter anderem durch seine sehr enge Bindung an ein weiteres Feindbild aus: den USA als „Gallionsfigur eines kapitalistischen und imperialen Feldzugs“. Auch die Besetzung großer arabischer Gebiete im Rahmen des sogenannten „6-Tage-Krieges“ 1967 sei ein wesentlicher Auslöser, wobei auch verschwiegen würde, dass nicht Israel diesen Krieg begonnen hätte. Dabei sei der danach entstandene Status für die 2-3 Millionen Palästinenser, die auf diesem Gebiet lebten, sicher problematisch, so dass man auch mit so einer Kritik leben könne.
Aber – so Kiesel weiter – die Repräsentanten dieser Bewegung würden nie fragen, warum Juden eigentlich nach Palästina eingewandert seien. Das würde niemals thematisiert, weil es der Ideologie des BDS, dass die israelische Besatzung Ausdruck eines rassistisch-kolonialen Prozesses mit dem Ziel sei, die palästinensische Bevölkerung zu unterwerfen und deren Kultur zu zerstören, widerspräche.
Europa, zu der Zeit noch stark kolonial geprägt, hätte dazu als Ort nicht mehr zur Verfügung gestanden. So war die Flucht der Juden eher eine Flucht vor einer so empfundenen „Kolonisierung“ aus ihrer alten Heimat. Natürlich sei auch einzuräumen, dass diese Flucht nach Palästina auf dort lebende Menschen traf, die damit nicht einverstanden waren und dem dadurch entstandenen Leid. „Aber“ so Kiesel: „es gab keine andere Lösung!“.
Letztlich sei der BDS aber in seinen Bemühungen Israel zu isolieren und „auszutrocknen“ gescheitert. Israel sei in vielen Punkten sehr erfolgreich und gut vernetzt, mittlerweile würden sogar mit den meisten arabischen und islamisch geprägten Staaten Beziehungen bestehen. Aber die Grundhaltung des BDS würde viele Menschen um die Chance bringen, die hochkomplexe Situation in Palästina zu verstehen und eine auf friedlichen Grundlagen und Kompromissen beruhende Lösung des palästinensisch-israelischen Problems zu unterstützen.
Auch der Einfluss in den Kirchen fand Eingang in die Diskussion. Offenbar sei ein latenter Antisemitismus bei vielen Menschen vorhanden und böte einen Nährboden für Meinungen wie die des BDS. Ein Teilnehmer berichtete von sehr guten Freunden, die unerwartet offen antisemitische Meinungen zeigten. Ein Verschweigen würde hier nicht weiterhelfen, so Kiesels Antwort: „Freunde müssten auch unterschiedliche Meinungen und Konflikte ertragen können. Es lohne sich zu kämpfen und solchen Ansichten zu widersprechen“.
Diese Worte bestärken auch den Verfasser dieses Berichtes: es geht nicht darum keine Kritik an Freunden zu üben. Man sollte es nur in Freundschaft und gegenseitigem Respekt tun. Das ist sicher auch ein wichtiger Grundsatz für die Völkerverständigung und auch den Umgang miteinander in dieser Gesellschaft und somit auch für unseren Freundeskreis.